Das Weihnachtsoratorium ist DIE Weihnachtsmusik schlechthin. Keine Verarbeitung der Weihnachtsgeschichte eines anderen Komponisten erzeugt in der Musikwelt so viel Bewunderung - und dies seit bald 300 Jahren. Niemand außer Johann Sebastian Bach versteht es, die Weihnachtsbotschaft so freudig, so sensibel, so intensiv erfahrbar zu machen.
Da überrascht es manchen, dass große Teile des gewaltigen Werks ursprünglich nicht für Kirche geschrieben wurden: Etwa ein Drittel der Einzelstücke entnahm Bach zuvor von ihm komponierten weltlichen Kantaten und unterlegte sie lediglich mit einem kirchlichen Text. Man ist sich in der Forschung aber einig, dass Bach bereits bei der Anfertigung von Glückwunsch- oder Huldigungskantaten eine spätere kirchenmusikalische Verwendung dieser Werke einkalkulierte. Ebenso verweist die überaus geschickte Kombination von wiederverwendeten und eigens komponierten Musikstücken deutlich auf ein stimmiges Gesamtkonzept des Weihnachtsoratoriums.
Genau genommen handelt es sich beim Weihnachtsoratorium um eine Zusammenstellung von sechs Kantaten, die Bach in den sechs Weihnachtsgottesdiensten 1734/35 zum ersten Mal aufführte: Erster, Zweiter und Dritter Weihnachtstag, Neujahr, Sonntag nach Neujahr und Epiphanias. Heute ist allerdings eine Aufführung im Gottesdienst die Ausnahme, in der Regel erklingt das Weihnachtsoratorium konzertant. Dies führt allerdings auch dazu, dass viele Menschen, denen der Besuch eines Gottesdienstes fremd ist, durch Bachs Weihnachtsoratorium mit geistlicher Musik, Kirche und Glauben in Berührung kommen.
Die Vielfalt der kompositorischen Mittel ist erstaunlich: Der Evangelientext wird größtenteils als Rezitativ vorgetragen. Die Stellen, an denen Mehrere reden bzw. singen, werden im motettischen Stil vom Chor gesungen. Hier sind vor allem das "Ehre sei Gott in der Höhe" (Gesang der Engel) und das "Lasset uns nun gehen nach Bethlehem" (Gesang der Hirten) zu nennen. Begonnen wird eine einzelne Kantate in der Regel mit einem festlich-majestätischen Chor- und Orchestersatz, der berühmteste ist hier sicher "Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage", mit dem die erste Kantate eröffnet wird.
In die fortlaufende Handlung der Weihnachtsgeschichte werden immer wieder Arien eingeflochten: Sie sind melodisch-emotional angelegt auf und dienen zur Verinnerlichung des soeben gehörten Evangeliumsabschnitts. Hier bringt der Solist seine Gefühle quasi stellvertretend für die "gläubige Seele" zum Ausdruck. Abgerundet wird das Werk durch Choräle, welche die "Gemeinde" repräsentieren und das wunderbare Geschehen gemeinschaftlich kommentieren.